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Der Rioni-Fluss in Georgien fließt vom Kaukasus-Gebirge Richtung Schwarzes Meer.

17. November 2025

Georgiens Wasserkraftwerke: ein umstrittenes Entwicklungsprojekt

In Georgien will die EU preiswert erneuerbare Energie produzieren lassen. Für das Land wäre der Deal eine wirtschaftliche Chance – doch die grüne Energie kommt mit Risiken für die Umwelt und die Bevölkerung.

Markus Sattler

Wissenschaftler

Institut: Leibniz-Institut für Länderkunde (IfL)

E-Mail: m_sattler@leibniz-ifl.de

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Porträtfoto von Paul Rabaté.

Paul Rabaté

Praktikant

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Eigentlich sollte der Bau von Wasserkraftwerken in Georgien eine Win-Win-Situation sein. Auf der einen Seite der europäische Riese, der den scheinbar grünen und nachhaltig produzierten Strom nutzen möchte, der für die grüne Transformation benötigt wird. Auf der anderen Seite der kleine georgische Staat, der bereits seine Energiegesetze und -praktiken mit den EU-Richtlinien harmonisiert, auf der Suche nach einem nachhaltigen Weg, seine Wirtschaft zu stärken. Zwei Akteure, eine Szene: das georgische Wassersystem.

Georgien, das zwischen den regionalen Schwergewichten Russlands und der Türkei liegt, verfügt über ein dichtes Netz von Flüssen, von denen viele schnell fließen und aus Gletscher-, Schneeschmelz- und Regenwasserquellen gespeist werden. Die Geschichte der Entwicklung von Wasserkraftwerken im Land lässt sich bis in die Sowjetzeit zurückverfolgen. In den 2000er Jahren kam es nicht nur zur Privatisierung bestehender Kraftwerke, sondern auch zur Öffnung des Energiesektors für private Unternehmen. In der Folge entstanden viele privat betriebene Werke.

Auch wenn die Entwicklung der georgischen Wasserkraftwerke und die – noch spekulativen – Verbindungen mit der EU „nachhaltig“ erscheinen mögen, wirft diese Partnerschaft zahlreiche Fragen auf.

Der georgische Wasserkraftrausch

Die georgische Regierung betrachtet die Möglichkeit, Strom zu exportieren, als einen echten Glücksfall und geht in den letzten Jahren sogar über ihren langjährigen Diskurs hinaus, der nur die „Energieunabhängigkeit“ (v.a. von Russland) hervorgehoben hat. 2024 verfügte das gebirgige und erdbebengeplagte Land über eine installierte Kraftwerkskapazität von 4621 Megawatt, wovon 73 % auf Stromgeneration durch Wasserkraft entfallen. Die Regierung strebt eine ehrgeizige Steigerung auf 10336 Megawatt bis 2034 an. Neue Wasserkraftwerke sollen mit 3812 Megawatt zu dieser Zahl beitragen – mehr als die derzeitige Stromerzeugung durch Wasserkraft. Damit würde das kleine Land, das ungefähr so viele Einwohner:innen wie Berlin zählt, eine höhere installierte Leistung von Wasserkraft als Deutschland (5570 MW) aufweisen. Im Jahr 2023 betrieb Georgien 119 Werke. Weitere 218 Werke sind derzeit in Planung.

In dem Bemühen, sich als Energieexporteur zu positionieren, hat sich Georgien für ausländische Direktinvestitionen geöffnet, insbesondere in große Wasserkraftwerke. Für kleine und mittelgroße Kraftwerke, die den Großteil der anstehenden Projekte ausmachen, wurden die letzten frei fließenden Flüsse Europas bereits v.a. innerhalb einer einheimischen Eliten untereinander aufgeteilt. Georgien bietet Investoren attraktive Rahmenbedingungen für den Bau von Wasserkraftwerken, darunter die vergünstigte Bereitstellung von benötigten Flächen sowie Mechanismen zur Absicherung politischer und sicherheitsbezogener Risiken. Staatlich garantierte Erlössicherungsverträge verschaffen Projektentwicklern ein stabiles und kalkulierbares Einkommen über 15 Jahre, vorausgesetzt, der erzeugte Strom wird auch tatsächlich nachgefragt.

Kritischer wird es bei Großprojekten: Hier besteht die Gefahr, dass der Staat Stromabnahmeverträge eingeht, die eine langfristige und vertraglich bindende Pflicht zur Vergütung beinhalten und zwar auch dann, wenn der Strom nicht benötigt wird oder die vertraglich fixierten Preise deutlich über dem Marktwert liegen. Solche Regelungen sind in doppelter Hinsicht nachteilig: Sie belasten den georgischen Staatshaushalt erheblich und können zugleich langfristig zu steigenden Strompreisen für inländische Verbraucher:innen führen.

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Führt der Bau von Wasserkraftanlagen also wirklich zu mehr Wohlstand in Georgien?

Wasserkraft aus Georgien: Ausländische und inländische Kapitalinteressen überwiegen

Seit seiner Unabhängigkeit im Jahr 1991 hat Georgien auf eine Politik zurückgegriffen, die darauf ausgerichtet ist, ausländische Direktinvestitionen anzuziehen. Diese Politik beinhaltet eine Gesetzgebung, die Profite priorisiert. Arbeitsrechtliche Belange, Umweltanforderungen, steuerliche Einnahmen oder Belange von betroffenen Gemeinschaften gelten dabei als zweitranging. Daher sind ausländische Direktinvestitionen in Georgien damit vereinbar, dass investierende Unternehmen alle Risiken auslagern und gleichzeitig Gewinne einfahren können. Der Fall des türkisch-norwegischen Konsortiums Enka, das hinter dem Großprojekt des geplanten aber vorerst gescheiterten Wasserkraftwerks Namochwani steht, ist ein typisches Beispiel dafür.

Hinter verschlossenen Türen und ohne Wissen der Öffentlichkeit hat Georgiens Regierung dem Bauunternehmen billigen Zugang zu Land und langfristige Stromabnahmeverträge gewährt. Die betroffenen Gemeinschaften sollten sich mit einer geringen Kompensation für ihre Umsiedlung und dem Niedergang des kulturellen Erbes zufriedengeben.

Der Staat wiederum verpflichtete sich alle unabsehbaren Ereignisse (des Katastrophenfalls etc.) finanziell abzusichern, was dem Unternehmen zugutekommen sollte: gerade weil das Unternehmen das Wasserkraftwerk aufgrund von Widerstand aus der Bevölkerung nicht baute, verklagte es die georgische Regierung erfolgreich auf Schadensersatz: 450 Millionen USD für ein nicht im Ansatz gebautes Wasserkraftwerk. Das zugehörige Land gehört noch immer dem Unternehmen.

Es wäre jedoch falsch anzunehmen, dass nur „ausländische“ Investoren bereit sind, Gemeinschaften und Ökosysteme für Gewinne zu opfern. Auch einheimische Entwickler – oftmals Teil von, oder mit offensichtlichen Kontakten zur Regierungspartei – profitieren vom Bau, beispielsweise die Familie des georgischen Umweltministers David Songhulashvili.

Einfluss der EU: Internationalisierte Steuerung des Wasserkraftsektors

Es wäre verkürzt, bei einer Untersuchung der Kapitalinteressen zu verweilen. Ebenso ermöglichen staatliche sowie (entwicklungs-)politische Akteure, sowohl aus Georgien wie dem Ausland (internationale Organisationen und Finanzinstitution), den Wasserkraftboom.

Trotz ihrer derzeitigen antieuropäischen und souveränitätsorientierten Rhetorik arbeitet die amtierenden Regierung harmonisch mit internationalen Akteuren, die oft aus Europa kommen. Georgien hat momentan den Vorsitz der „Energy Community“ inne. Die Energy Community ist eine Internationale Organisation, die 2005 durch den Vertrag von Athen gegründet wurde. Vertragsparteien sind die Europäische Union sowie derzeit neun Nicht-EU-Staaten. Ziel ist es, den EU-Binnenmarkt für Energie auf Südosteuropa und die Nachbarschaft auszuweiten. Dazu verpflichten sich die Nicht-EU-Vertragsparteien, das einschlägige EU-Energie-Acquis in ihr nationales Recht zu übernehmen und ihre regulatorischen Rahmenbedingungen mit den Vorgaben der EU zu harmonisieren. Dazu zählt unter anderem die Öffnung der Energiemärkte, wodurch sich Profitlogiken im Energiesektor etablieren können.

Die EU selbst wiederum stellt im Rahmen der „Global Gateway Initiative“ bis zu 2,3 Millarden EUR für die Projektfinanzierung des Black Sea Submarine Cable (BSSC) in Aussicht, das Aserbaidschan und Georgien mit der EU verbinden soll. Finanzierungen könnte das BSSC auch von Internationalen Finanzinstitutionen wie der Weltbank oder der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung erhalten.  Diese waren zudem entscheidend für den Umbau des Wassersektors in Georgien hin zu einem liberalisierten und profitorientierten System. Deren finanzielle Unterstützung oder Finanzierungszusagen haben die Umsetzung einer Reihe von zum Teil sehr problematischen Wasserkraftwerken in den letzten Jahren vorangetrieben.

Der Ausbau der Wasserkraft in Georgien verbindet lokale Ressourcen mit globalisierten Energievisionen. Doch dieser Prozess bleibt widersprüchlich. Ob daraus eine faire und nachhaltige Transformation entsteht oder ein neues Kapitel ungleicher Entwicklung, wird sich erst zeigen, wenn die betroffenen Gemeinschaften, und nicht nur staatliche und internationale Akteure, berücksichtigt werden.

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