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17. November 2025
Wie sich Georgiens Bevölkerung gegen neue Wasserkraftwerke wehrt
Der umkämpfte Wasserkraftsektor in Georgien schreitet mit Unterstützung des georgischen Staats, der EU, und Internationalen Organisationen voran. Doch dagegen regt sich auch Widerstand.
Die Geschichte der Wasserkraft in Georgien geht bis in die Sowjetzeit zurück. Aus dem schnee- und gletscherreichen Kaukasus-Gebirge speisen sich zahlreiche Flüsse, deren Wasser sich für die Stromproduktion anbietet. Im Jahr 2023 waren in Georgien 119 Wasserkraftwerke aktiv, die für mehr als 70 Prozent des landesweiten Stroms verantwortlich waren. Eine beachtliche Menge.
In den nächsten Jahren sollen laut Regierung 218 neue Wasserkraftwerke entstehen. Die Regierung wirbt zum einen mit der „Energieunabhängigkeit“ (v.a. von Russland). Doch Kommentator:innen kritisieren in Georgien seit über einem Jahrzehnt immer wieder: Die Stromerzeugung aus Wasserkraft ist stark saisonabhängig. Neue Wasserkraftwerke werden die Stromimporte im Winter nicht wesentlich verringern.
Zum anderen will Georgiens Regierung neuerdings Strom in die EU exportieren. In diesem Sinne plant sie gemeinsam mit der EU und dem Nachbarland Aserbaidschan den Bau des Black Sea Submarine Cable (BSSC). Dieses soll von Aserbaidschan durch Georgien und das Schwarze Meer nach Rumänien und Ungarn verlaufen.
Teile der Bevölkerung sind gegen den Ausbau der Wasserkraft – und bringen triftige Gründe mit. Denn immerhin geht es hierbei um großflächige und tiefe Eingriffe in die Umwelt. Doch ihre Stimme wird von der Regierung nicht einbezogen, wenn sie darüber entscheidet, wo neue Wasserkraftwerke gebaut werden sollen. Trotzdem versuchen Graswurzelbewegungen immer wieder, sich lautstark Gehör zu verschaffen und kämpfen für Mitbestimmung.
Lokale Gemeinschaften fühlen sich von Georgiens Regierung übergangen
In dem Maße, in dem die Wasserkraftwerke die Landschaften Georgiens verändern, stellt sich eine spannende Frage für die Forschung: Welche Rolle spielen die lokalen Gemeinschaften bei Entscheidungen, die sich direkt auf ihr Leben und ihre Umwelt auswirken? Diese Gemeinschaften sind oft auf die Flüsse angewiesen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Oftmals nutzen sie das Wasser für eine Reihe von wirtschaftlichen Aktivitäten (z.B. Land- und Viehwirtschaft), die ihre Überlebensgrundlage darstellen.
Der Bau von selbst kleinen Wasserkraftwerken kann starke Effekte haben, vor allem, wenn mehrere Werke entlang desselben Flusses gebaut werden sollen: Die Gefahr ist groß, dass zu gewissen Zeiten die Flussbetten leer sein werden, weil das Wasser vor allem durch Rohre fließen wird. Zwar prüft der Staat vor dem Bau eines Kraftwerks dessen Auswirkungen auf die Umwelt – jedoch erfolgen diese Umweltverträglichkeitsprüfungen, zumindest im georgischen Kontext, meistens nur für individuelle Wasserkraftwerke. Die kumulativen Effekte, die durch das Zusammenspiel vieler Wasserkraftwerke entstehen, werden aus dem Auge gelassen. Die Auswirkungen von solchen wasserlosen Flussbetten sind dabei zum Teil komplex und noch nicht erforscht. Ebenso sind die lokalen Gemeinschaften auf die Wälder und Weiden angewiesen, die durch Wasserkraftwerke zum Teil beschädigt oder unzugänglich werden.
Lokale Bevölkerungen sind zudem die wichtigsten Hüter der sozio-ökologischen Vielfalt des Landes: etwas, das viele in Georgien und im Ausland sehr schätzen und worauf sie stolz sind. Ganze Kulturlandschaften und kulturelle sowie ökonomische Praktiken können durch den Bau von Wasserkraftwerken gefährdet sein. Gerade bei größeren Projekten, die die Regierung wieder in Angriff nimmt, besteht zudem die Gefahr von Vertreibung und Überflutung von kulturellem Erbe (z.B. Friedhöfe, Siedlungen etc.).
Trotzdem wurde die Beteiligung der Gemeinschaften an der Planung von Wasserkraftwerken stets eingeschränkt und in einigen Fällen sogar aktiv unterdrückt. Dieser Ausschluss wiegt umso schwerer, als auch die Legitimität der Akteure, die den Ausbau der Wasserkraft vorantreiben, zunehmend in Frage steht – sowohl in Bezug auf das Vorgehen des Staates als auch hinsichtlich der internationalen Finanzinstitutionen (IFIs), die viele dieser Projekte finanzieren und gestalten, und die nicht vom Volk gewählt wurden. Diese Akteure besitzen kein direktes Mandat der betroffenen Gemeinschaften, treffen aber Entscheidungen, die deren Leben tiefgreifend verändern.
Georgiens Bevölkerung fechtet privatisierte Gewässer an
Daher gibt es in Georgien auch Widerstand an der Basis, der von Orten ausgeht, die von der Wasserkraftplanung betroffen sind. Die Bewegung „Wächter des Rioni-Tals“, die 2020 von Bewohner:innen des Rioni-Tals als Reaktion auf das Namochwani- Wasserkraftwerk gegründet wurde, könnte als Aushängeschild dieser Widerstandsbewegungen betrachtet werden.
Die Bewegung konnte zehntausende Menschen in der benachbarten Großstadt Kutaissi mobilisieren, das im Falle eines Dammbruchs von einer gigantischen Welle heimgesucht werden könnte. Im Jahr 2021 feierte sie ihren größten Erfolg, als das für den Bau und den Betrieb verantwortliche türkisch-norwegische Konsortium Enka angekündigt hat, sich von der Konstruktion des Wasserkraftwerks zurückziehen.
Graswurzelbewegungen machen auf erhebliche soziale, ökologische und wirtschaftliche Kosten aufmerksam, die durch diese Projekte verursacht werden, und politisieren den Ausschluss von Entscheidungsfindungsprozessen. Dabei gehen die Bewegungen auch Bündnisse mit kritischen Teilen der Zivilgesellschaft ein, spannen Solidaritätsnetzwerke in angrenzende Regionen, in die Hauptstadt und sogar ins Ausland. Ein prominentes Beispiel ist das CEE Bankwatch Network, das seit Jahren kritisch über die Entwicklung der Wasserkraft in Georgien berichtet.
Bis heute wurden mehrere laufende Projekte unter dem Druck des Widerstands der Bewegungen und ihrer Bündnisse gestoppt. Aktivist:innen stellen in Frage, warum noch mehr Wasserkraftwerke gebaut werden müssen, obwohl Georgien bereits 73 % seines Stroms aus erneuerbarer Wasserkraft erzeugt.
Kryptomining befeuert Georgiens Wasserkraft-Ausbau
Die Widerstandsbewegungen werfen weitere wichtige Fragen auf, wie zum Beispiel: Wofür wird die Energie aus Wasserkraft im Inland verwendet? Eine Teilantwort darauf liefert Kryptomining. Georgien ist eine Hochburg für Miner von Bitcoin und weiteren Kryptowährungen, unter anderem, weil Gewinne kaum versteuert werden. Die Produktion ist jedoch sehr energieintensiv. Trotz steigender Wasserkraftproduktion hat der Krypto-Hype in Georgien zu Stromausfällen geführt, wie in der besonders von Wasserkraftprojekten betroffenen Region Swanetien. Dieses Problem trifft durchaus den Nerv der Bevölkerung.
Letztlich hegt sich der Widerstand aber vor allem gegen die fehlende Einbindung von betroffenen Gemeinschaften: Weite Teile der Bevölkerung sind unzufrieden, weil sie nicht mitentscheiden dürfen, ob, wie und wo ein Wasserkraftwerk gebaut wird. Die Entscheidungen über ihr Lebensumfeld werden von staatlichen, internationalen und unternehmerischen Akteuren getroffen ohne demokratische Mitsprache. Wo es zu Partizipation kommt, gleicht sie einer Formalität, während der Bau der Anlagen als längst beschlossen gilt. So wird (Pseudo-)Partizipation zum Teil des Problems und nicht zur Lösung.
Forschende untersuchen Auswirkungen von Georgiens Energiepolitik auf Demokratie
Dahingehend stellen Bündnisse gegen die Werke die Frage, die auch uns als Forschungsteam interessiert: Welchen Nutzen bringen bestehende und geplante Wasserkraftwerke für welche Interessensgruppen? Welche Praktiken gehen verloren? Und welche Perspektiven bringen betroffene Gemeinschaften und lokale Widerstandsbewegungen hervor, die es ermöglichen andere Energie- und Wirtschaftspolitiken zu denken?
Für die georgische Regierung mag die Zusammenarbeit mit der EU in „grünen“ Energieprojekten profitträchtig sein, doch für die lokale Bevölkerung bringt sie mitunter viele Probleme mit sich. Im Projekt „GrassTransitions“ untersuchen Forschende sowie Fachleute zivilgesellschaftlicher Organisationen in Griechenland, Ungarn und Georgien, wie sich Politiken und Projekte der grünen Transformation auf die demokratische Teilhabe der Bevölkerung in den (süd-)osteuropäischen EU-Mitgliedsstaaten und in den Nachbarstaaten der EU auswirkt.
Ob das BSSC tatsächlich gebaut wird, steht noch nicht fest. Über die Zukunft der Energiewirtschaft in Georgien entscheiden teilweise Akteure, die weit weg von den Kämpfen der Graswurzelbewegungen sind. Dabei ist es zwingend erforderlich, ihre Meinungen und Visionen miteinzubeziehen, um staatszentrierte Sichtweisen zu dezentrieren. Staatszentrierte Visionen verbergen oft nur die ausländische und inländische Klassenherrschaft, die die Entwicklung der Wasserkraft prägt. So profitiert nicht ganz „Georgien“ von der Wasserkraft, sondern bestenfalls einige wenige Eliten im In- und Ausland, während ein großer Teil der Bevölkerung das Nachsehen hat. Gerade deswegen sollten wir auch in Europa bei Wasserkraft nicht automatisch und unkritisch an eine „erneuerbare“ Energie denken: denn sie können durchaus die Lebensgrundlagen anderer Menschen zunichtemachen. Dass solche Geschichten überhaupt bis nach Deutschland dringen können, ist vor allem dem Widerstand von Bewegungen zu verdanken.
Angesichts der Vielzahl autoritärer Gesetze, die das de facto Einparteienparlament in letzter Zeit verabschiedet hat, sieht die Zukunft für Graswurzelbewegungen in Georgien düster aus – gerade weil die Gesetzgebung auch explizit dazu entwickelt wurde, den Widerstand gegenüber Wasserkraftwerken autoritär zu unterbinden. So spricht die Regierung seit Jahren über angebliche ausländische Einflussnahme, die den Widerstand gegenüber Wasserkraft zu erklären vermag. Dieser Versuch, primär lokale Widerstandsakteure und –allianzen zu delegitimieren, intensiviert sich nun. Neu ist aber, dass die Regierung und die von ihr abhängigen Gerichte bereits die Mittel besitzen, Delegitimierungsstrategien in Kriminalisierungspraktiken umzumünzen.
Ist die EU bereit, ihre eigene grüne Transformation auf Kosten lokaler Gemeinschaften in anderen Ländern voranzutreiben? Wird die EU gegenüber Georgien ein ähnlich blindes Auge entwickeln wie in ihrer Politik gegenüber den bereits autoritär konsolidierten Staaten Zentralasiens sowie Aserbaidschan, wo reiner Energiepragmatismus jede wertebasierte Außenpolitik überlagert? Diese Fragen sind entscheidend für die Bewertung der europäischen Verantwortung. In der Zwischenzeit sind Geograph:innen gut positioniert, um zu dokumentieren, wer von Georgiens Wasserkraftrausch profitiert und wer verliert.
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