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16. Juni 2025
Grüne Energie aus Nordafrika: Konflikte um Wasserstoffexporte aus Tunesien
Um ihre ehrgeizigen Klimaziele zu erreichen, will die EU erneuerbare Energien in Form von grünem Wasserstoff importieren. In Tunesien zeigt sich, wie viel Kritik diese Strategie erregt und welche Konfliktpotentiale sie birgt. Diese zu verstehen, soll ermöglichen, die Energiewende möglichst konfliktsensibel zu gestalten.
Es klingt so vielversprechend. Die Europäische Union hat sich ehrgeizige Ziele gesetzt, Treibhausgasemissionen zu senken: Bis 2030 will sie ihren Ausstoß um 55 Prozent im Vergleich zu 1990 reduzieren. 2050 will die Staatengemeinschaft klimaneutral sein.
Um diese Ziele zu erreichen, benötigt die EU auch erneuerbare Energien aus dem Ausland, die u.a. aus Nordafrika kommen sollen. Dort, wo weite Wüsten nicht nur Platz, sondern auch viel Sonnenenergie versprechen, soll Strom gewonnen und aus diesem wiederum grüner Wasserstoff (GH2) hergestellt werden. Diesen grünen Wasserstoff braucht insbesondere die energieintensive deutsche Industrie. Aus den Einnahmen, so der positive Blick auf eine Wasserstoffökonomie, könnten nordafrikanische Regierungen wirtschaftliche Entwicklung im eigenen Land anstoßen.
In dieses Bild passt so gar nicht, dass sich gegen die Wasserstoffexporte mittlerweile immer mehr Widerstand von Nichtregierungsorganisationen, sozialen Bewegungen und aus der Wissenschaft formiert. Doch welche Probleme kann es hier geben?
Grüne Energie aus Nordafrika – warum exportieren?
Breit diskutiert werden schon länger drei Themen: Energie, Wasser und Landfragen. Bei der Umwandlung von Strom in grünen Wasserstoff, bei dessen bisher sehr energieintensiven Transport bis zu dem Moment, an dem er in Deutschland etwa grünen Stahl produzieren sollte, geht viel Energie verloren.
Kritiker:innen fragen, warum der grüne Strom nicht direkt in die Elektrizitätsversorgung der nordafrikanischen Länder fließt. Dort sind fossile Brennstoffe immer noch Hauptenergielieferant für die eigene Bevölkerung und Wirtschaft.
Zudem kann die Nutzung von Kohle, Gas und Öl ein wirtschaftliches Problem für die betroffenen Länder darstellen: Mit dem Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) wird die EU ab 2026 eine CO2-Steuer erheben auf CO2-intensive Produkte wie Stahl und Zement, die außerhalb der EU produziert wurden. Wenn also nicht ausreichend erneuerbare Energie für die einheimische Industrie bereitsteht, sinkt so die Wettbewerbsfähigkeit nordafrikanischer Staaten.
Wasserstoffproduktion trotz Wasserknappheit
Eine weitere Sorge betrifft die Wasserversorgung in einer ohnehin schon extrem wasserarmen Region. Durch den Klimawandel hat sich die Lage noch weiter verschlechtert. Jahre der Dürre plagen die Länder und deren wasserintensive Landwirtschaft. Wenn nun noch mehr Wasser für Energieexporte verbraucht wird, würde sich dies negativ auf die Nahrungsmittelversorgung in den Ländern, aber auch auf deren Agrarexporte auswirken.
Kein Problem, sagen Befürworter:innen. Mittels Entsalzungsanlagen soll aus salzhaltigem Meerwasser, dass frisches Wasser gewonnen werden, das nicht nur der grünen Wasserstoffindustrie, sondern auch der Versorgung der Bevölkerung dienen soll. Problem gelöst?
„Kritiker:innen fragen, warum der grüne Strom nicht direkt in die Elektrizitätsversorgung der nordafrikanischen Länder fließt. Dort sind fossile Brennstoffe immer noch Hauptenergielieferant für die eigene Bevölkerung und Wirtschaft.“
– Irene Weipert-Fenner, PRIF
Noch nicht ganz. Zum einen ist Entsalzung ein sehr energieintensives Verfahren. Das heißt, es bräuchte noch mehr erneuerbare Energie als ohnehin schon für die nationale Energiewende sowie für Energieexporte.
Zweitens entsteht bei der Entsalzung Salzlake sowie Abwasser mit Schwermetallen, die, Stand heute, einfach ins Mittelmeer geleitet werden. Da das Mittelmeer durch den Zugang zum Atlantik als offenes Meer gilt, in dem sich die Salzlake breit verteilen kann, wird dies oft als unproblematisch dargestellt.
Es fehlen jedoch Modellierungen, was passiert, wenn auf einmal sämtliche Mittelmeeranrainer Entsalzung im großen Maßstab betreiben würden. Denn an Trockenheit leiden alle Mittelmeerländer und wasserintensive Landwirtschaft ist ebenfalls weit verbreitet. Das heißt, der generelle Wasserbedarf steigt ohnehin. Wie viele zusätzliche Entsalzungsanlagen mit und ohne (mehr oder weniger ambitionierter) grüner Wasserstoffproduktion nötig wären, dafür liegen ebenfalls keine Szenarien vor.
Grüne Energie und Landkonflikte
Weiterhin oft kritisiert ist das Potential für Landkonflikte. Solar- und Windkraftanlagen benötigen etwa zehn Mal so viel mehr Platz als fossile Energiegewinnung, auch Elektrolyseure für die Wasserstoffproduktion und Entsalzungsanlagen brauchen Platz.
Nun suggeriert der Blick auf Nordafrika, dass in der Sahara doch nun ausreichend Platz sein müsste. Dabei wird jedoch übersehen, dass in einigen Gebieten, die sich für die Erzeugung erneuerbarer Energien eignen, Menschen leben, die dort Landwirtschaft und Viehzucht betreiben. Oft wird dieses Land kollektiv genutzt, ist aber nicht formal Eigentum seiner Nutzer:innen. Wenn nun private Investor:innen das Land offiziell erwerben, droht die Vertreibung der lokalen Bevölkerung. Diesen Konflikt gab es schon zu Kolonialzeiten und könnte sich hier wiederholen. Weiterhin braucht die grüne Wasserstoffökonomie auch Platz an den Küsten für die Entsalzungsanlagen, um das Meerwasser zu nutzen und die erwähnte Salzlake dorthin zurückzuleiten.
Wasserstoffexporte verstärken globale Abhängigkeiten
Neben konkreten Schäden und Konflikten kritisieren Aktivist*innen und einige Forschende auch die Gewinn- bzw. die Nutzenverteilung aus der Produktion grünen Wasserstoffs. Ziel der GH2-Ökonomie, so kritische Stimmen, sei nicht die Bekämpfung des Klimawandels, sondern nicht nachhaltige Konsum- und Produktionsmodelle im globalen Norden aufrechtzuerhalten.
Allen voran die Gasindustrie würde sich über das Label „h2-ready“ freuen, wenn mit vermeintlich gutem Gewissen Infrastruktur für fossile Energien geschaffen oder erhalten würde, die eine leichte Umstellung auf grünen Wasserstoff versprächen.
„ Ziel der GH2-Ökonomie, so kritische Stimmen, sei nicht die Bekämpfung des Klimawandels, sondern nicht nachhaltige Konsum- und Produktionsmodelle im globalen Norden aufrechtzuerhalten. „
– Irene Weipert-Fenner, PRIF
Von Neo-Kolonialismus sprechen dagegen Aktivist:innen, die eine Fortschreibung von Machtungleichheiten und Abhängigkeiten sehen, auch bei der Finanzierung der teuren Technologie durch Kredite, was den finanziellen Spielraum ohnehin teils hoch verschuldeter Länder weiter verringern würde.
Wenn neue Konflikte auf bestehende treffen
Diese Reihe an Kritikpunkten ist jedoch noch lange nicht abschließend. Was bisher noch nicht berücksichtigt wird, ist die Frage, wie sich GH2-Projekte – samt des skizzierten direkten Konfliktpotentials – auf bereits bestehende Konflikte in den Ländern Nordafrikas auswirken.
Am Beispiel Tunesiens konnte ich in meinem PRIF-Report „Green Hydrogen Production in Tunisia: the Interplay of Old and New Lines of Conflict“ Wechselwirkungen zu innerstaatlichen Konflikte zeigen:
- In marginalisierten Regionen besteht bereits großes Misstrauen dem politischen Zentrum gegenüber, was sich auf die GH2-Projekte überträgt und in Protest ausdrückt.
- Die durch private Firmen initiierten GH2-Projekte befeuern den Konflikt zwischen Befürworter:innen einer möglichst liberalen Privatwirtschaft und Gegner:innen, die dem Staat eine starke Rolle in der Wirtschaft und Wohlfahrtssicherung zuschreiben. Privatwirtschaftliches Gewinnstreben trifft hier auf das Verständnis von Energie als existentielles Gut, das der Staat allen Bürgern günstig bereitstellen sollte – was er seit der Unabhängigkeit von Frankreich 1956 auch getan hat. Erneuerbare Energien für den einheimischen Markt werden dabei von der breiten Bevölkerung befürwortet, wie Umfrageergebnisse des Arab Barometers (2024) zeigen.
- Der Vorwurf der neo-kolonialen Strukturen trifft in der GH2-Ökonomie auf einen zunehmend Europa-kritischen politischen und öffentlichen Diskurs, angefacht durch den Populismus des Präsidenten Kais Saied, der ausländische Mächte gern zum Sündenbock für die wirtschaftliche Lage macht.
Gleichzeitig speist sich die kritische Haltung durchaus aus konkreten Erfahrungen mit europäischer Politik, sei es im Vergessen der vermeintlichen Werte der EU wie Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, wenn es etwa um Migrationsdeals geht, aber auch in der einseitig wahrgenommenen Unterstützung Israels im Gaza Krieg.
Erneuerbare Energie aus Nordafrika, und grüner Wasserstoff im Speziellen, stellen also alles andere als ein einfaches win-win-Modell bei der Bekämpfung des Klimawandels dar. Vielmehr braucht es einen (selbst-)kritischen Diskurs in Europa über die Konfliktpotentiale für andere Weltregionen und die Möglichkeiten einer konflikt-sensitiven Gestaltung der Energiewende.
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