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16. Juni 2025
Griechische Erdbeeren „made in Bangladesh“
Erdbeeren gibt es mittlerweile auch im Winter zu kaufen. In Nea Manolada, Griechenland, gedeihen sie prächtig, doch der Anbau hat seine Schattenseiten. Wissenschaftler Johannes Jungfleisch hat die Verhältnisse südasiatischer Arbeiter untersucht.
Auf der Rückseite mancher Erdbeerverpackungen, die man mittlerweile sogar im Winter im Supermarkt kaufen kann, steht oft in ganz kleiner Schrift: „Herkunftsland Spanien“ oder „Herkunftsland Griechenland“. In Griechenland stammen sie meist aus der Gegend um das Dorf Nea Manolada, das im Westen der Halbinsel Peloponnes liegt. Der Ackerbau ist dort schon seit über 2000 Jahren sehr wichtig, denn der Boden ist fruchtbar und es regnet genug – eine wahre Seltenheit für Griechenland.
Bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts arbeiteten die Bauern und Bäuerinnen in meist kleinen Familienbetrieben. Sie bauten verschiedene Pflanzen an – zum Beispiel Baumwolle, Trauben, Melonen, Kartoffeln, Gurken und Tomaten. Auf alten Satellitenbildern aus den 1960er Jahren sehen die Felder von oben wie ein bunter Flickenteppich aus.

Heute sieht die Gegend ganz anders aus: Lange Reihen von silberglänzenden Gewächshäusern mit Plastikfolie bedecken die Ebene – zwischen dem Meer im Westen und den Bergen im Osten. Unter diesen Gewächshäusern wächst das, was der frühere griechische Ministerpräsident Georgios Papandreou das „rote Gold Griechenlands“ nannte: die Erdbeeren. Diese sind für die Wirtschaft der Region um Nea Mandela sehr wichtig. Selbst während der Schuldenkrise in Griechenland in den 2010er Jahren pflanzten die Bauern immer mehr Erdbeeren, denn sie konnten diese in viele andere Länder verkaufen.
Der Preis süßer Früchte
Auf den ersten Blick klingt das alles wie eine Erfolgsgeschichte. Doch der Erdbeeranbau in der Region hat Schattenseiten. Er funktioniert nur mit modernen Methoden. Dabei werden viele Plastikfolien, Chemikalien und Dünger verwendet, die zu Boden- und Wasserverschmutzungen führen können.
Für die schweren Tätigkeiten auf den Feldern braucht man viele Arbeitskräfte. Gleichzeitig ziehen in Griechenland immer mehr junge Menschen vom Land in die Städte. Es gibt deshalb nicht genug Leute, die in der Landwirtschaft arbeiten wollen. Die Landwirte stellen daher Arbeitskräfte aus anderen Ländern ein – zum Beispiel aus Bangladesch, Indien, Nepal und Pakistan. Oft kommen sie über die östliche Mittelmeerroute über die Türkei nach Griechenland.

Sie haben teilweise keine gültigen Papiere, weil sie illegal migrieren. Deshalb dürfen sie laut Gesetz nicht im Land bleiben. Offiziell dürfen sie auch nicht arbeiten. Trotzdem müssen sie Geld verdienen, um zu leben. Daher nehmen die Menschen auch schlechte Arbeitsbedingungen und sehr wenig Lohn in Kauf. 2022 lag der durchschnittliche Stundensatz bei einem siebenstündigen Arbeitstag bei 3,50 Euro. Der griechische Mindestlohn lag in diesem Jahr bei etwa 4,45 Euro.
Johannes Jungfleisch vom Leibniz-WissenschaftsCampus „Resources in Transformation (ReForm)“ in Bochum forscht im Bereich der Archäologie der Moderne. Er untersucht, wie die Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen aus Bangladesch genau aussehen – also ihre Umgebung und die Dinge, mit denen sie leben und arbeiten.
Leben inmitten von Erdbeerfeldern
Vor allem zur Erntezeit kommen Tausende von Männern aus Bangladesch nach Nea Manolada. Die kleinen Dörfer in der Umgebung bieten jedoch nicht genug Wohnraum für so viele Arbeiter. Deshalb leben viele von ihnen mehrere Kilometer entfernt – in provisorischen Siedlungen direkt auf den Feldern.
Hier zu forschen, bedeutet für Johannes Jungfleisch vor allem: die Siedlungen besuchen, mit den Arbeitern sprechen und das Gesehene und Gehörte sorgfältig dokumentieren. Dafür führt er Interviews und macht Fotos – etwa von den Hütten und den Dingen, die die Männer aus Bangladesch im Alltag benutzen. So entsteht nach und nach ein umfassendes Bild vom Leben in diesen Siedlungen.

Viele der Unterkünfte sehen aus wie Gewächshäuser. Was auf den ersten Blick irritiert hat einen praktischen Grund: Für den Bau ihrer Hütten verwenden die Arbeiter alte und weggeworfene Materialien aus der Landwirtschaft. Doch die Unterkünfte bieten kaum Schutz vor Kälte, Hitze oder Regen – und wenig Privatsphäre. Es gibt dort weder Kanalisation noch fließendes Wasser oder Müllentsorgu
Spuren von Bangladesh in Griechenland
Gleichzeitig versuchen die Arbeiter, ihr Leben etwas angenehmer zu gestalten. In den Siedlungen legen sie kleine Gärten mit laubenartigen Konstruktionen an – ähnlich wie in ihrer Heimat Bangladesch. Diese spenden Schatten in der Sommerhitze. Außerdem bauen sie Gemüse an, das sie aus ihrer Heimat mitgebracht haben. Zwischen den Hütten und Gärten stehen auch provisorische Moscheen, denn der Islam spielt im Leben vieler Arbeiter eine wichtige Rolle.
Auch außerhalb der Felder sind Spuren der bangladeschischen Arbeiter zu finden.
In den griechischen Dörfern gibt es kleine Läden, die typische Lebensmittel und Alltagsprodukte aus Bangladesch verkaufen. Manche Imbisse servieren sogar Speisen, wie man sie eher in Bangladeschs Hauptstadt Dhaka erwarten würde – und nicht kleinen Ortschaften auf dem griechischen Land.
2023 haben Griechenland und Bangladesh ein Programm zur Legalisierung der südasiatischen Arbeiter:innen geschaffen. Nun dürfen die Betroffenen während der Saison zwar legal nach Griechenland kommen, jedoch gibt es weiterhin keine Regeln für die Unterbringung. Somit bleiben die Arbeits- und Lebensverhältnisse für die Migrant:innen prekär:
Hinter der griechischen Wintererdbeere im deutschen Supermarkt steckt eine Welt, die ebenso überraschend wie komplex ist. Der Fall Nea Manolada zeigt deutlich, wie eng Migration mit unserer Lebensmittelproduktion verknüpft ist. Und er erinnert uns daran: Lebensmittel sind nie grundlos billig. Irgendjemand zahlt immer den Preis – in diesem Fall die Arbeiter aus Bangladesch und die Umwelt.
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